Zwischen Müdigkeit und Zukunft

Ein persönlicher und zugleich philosophischer Einblick in die Erschöpfung nach Monaten voller Prüfungen, Projekten und Verantwortung als Jugendleiter. Zwischen Überforderung, dem Ignorieren von Nachrichten und der Suche nach Balance entsteht eine Reflexion über Zeit, Verantwortung und die Bedeutung der Müdigkeit als Lehrer.

GEDANKENMENSCHLICHKEIT

Jeremy Pape

8/22/20253 min lesen

man in white long sleeve shirt
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Zwischen Müdigkeit und Zukunft

Ich bin müde.
Und diesmal meine ich nicht das angenehme, wohlige Müde-sein nach einem langen Tag, sondern eine Erschöpfung, die tiefer geht. Die letzten Monate haben Spuren hinterlassen. Prüfungsphase im Studium – für mich sonst fast Nebenschauplatz, plötzlich aber eine Quelle von Druck. Parallel dazu die Vorbereitung auf die neue Saison in meiner Rolle als Jugendleiter. Dieses Jahr mit 22 gemeldeten Mannschaften – ein Rekord, ein Triumph, und zugleich ein Berg, der noch höher wirkt, wenn man ihn nicht von weitem bestaunt, sondern selbst besteigt.

Und dazwischen: ein Projekt, das mir Kopf und Herz zugleich beansprucht hat. Seit März kämpften wir darum, Geld für unseren „Equipment Day“ zusammenzubekommen – und am 15. August war es so weit. 300 Kinder haben neue Ausrüstung bekommen. 300 Kinder, die ein Stück mehr Möglichkeiten, ein Stück mehr Stolz in Händen halten durften. Es war einer der Momente, die alles wert erscheinen lassen – und doch war er für mich auch zermürbend. Denn einen Tag später stand bereits das nächste große Jugendturnier an, ebenfalls von mir organisiert. Kaum Zeit zum Atemholen, keine Pause für einen klaren Blick.

Und jetzt? Saisonstart. Trainings, Spiele, Organisation. Ich bin wieder auf dem Feld, Tag für Tag. Und irgendwo dazwischen merke ich: ich erkenne meine eigene Erschöpfung nicht an. Oder vielleicht will ich sie nicht anerkennen. Denn inzwischen erwische ich mich dabei, dass ich Themen einfach von mir fernhalte, Nachrichten tagelang unterbewusst ignoriere – etwas, das ich früher nie getan hätte. Als hätte mein Kopf eine eigene Art von Selbstschutz entwickelt, um mich vor dem Übermaß zu bewahren.

Wenn der Körper „Stopp“ sagt und der Kopf „Weiter“

Es ist ein merkwürdiges Spannungsfeld: Einerseits spüre ich Müdigkeit, einen Hunger nach Ruhe, nach Stillstand. Andererseits klammere ich mich an die Bewegung, als wäre das Innehalten gefährlicher als das Weitermachen.

Vielleicht liegt es daran, dass ich Zeit oft nur als eine Abfolge von Aufgaben erlebe: Prüfungen, Projekte, Turniere, Saisonstarts. Kaum ist das eine abgeschlossen, wartet schon das nächste. Und so gleicht mein Leben einem Laufband, das sich stetig dreht – und ich laufe, weil ich nicht weiß, wie man absteigt, ohne zu stolpern.

Doch dann denke ich: Ist die Zukunft nicht immer auch schon Vergangenheit in Vorbereitung? Alles, was jetzt geschieht, war gestern noch eine Sorge, morgen schon eine Erinnerung. Und genau darin steckt eine bittere, aber auch befreiende Wahrheit: Egal, wie schwer eine Phase sich anfühlt, sie ist im Werden schon im Vergehen begriffen.

Verantwortung als Geschenk und Last

Was mich am stärksten ermüdet, ist nicht die Arbeit selbst, sondern die Verantwortung. 22 Mannschaften, 300 Kinder, ein Turnier, ein Verein. Ich weiß, dass mein Handeln Wirkung hat. Dass hinter jedem Termin, jeder Entscheidung Menschen stehen, die vertrauen, dass ich da bin. Und manchmal frage ich mich: Wo bleibe ich selbst in diesem großen „Wir“?

Philosophisch betrachtet ist Verantwortung eine paradoxe Sache. Sie trägt uns, weil sie unserem Tun Bedeutung gibt. Aber sie drückt uns auch nieder, wenn wir vergessen, dass wir nicht unendlich stark sind. Vielleicht ist wahre Verantwortung nicht, alles zu tragen – sondern auch Grenzen zu erkennen und auszusprechen.

Müdigkeit als Lehrer

Vielleicht sollte ich lernen, die Müdigkeit nicht als Schwäche zu sehen, sondern als Hinweis. Sie ist nicht das Ende meiner Kraft, sondern eine Erinnerung daran, dass auch ich ein Mensch bin – kein Motor, der ewig läuft.

Und wenn ich den Gedanken weiterspinne, dann könnte Müdigkeit sogar philosophisch verstanden werden: Sie zeigt uns, dass wir im Fluss der Zeit stehen. Dass wir nicht nur leisten, sondern auch erleben, verarbeiten, wachsen müssen. Jeder Erschöpfungsmoment ist wie ein leises Signal: „Schau zurück, atme durch, bevor du weitergehst.“

Ein kleiner Gedanke zum Schluss

Vielleicht liegt in all dem ein einfaches Bild: Ich renne von Aufgabe zu Aufgabe, als würde die Zukunft immer weiter vor mir fliehen. Aber in Wahrheit renne ich einer Vergangenheit entgegen, die sich gerade erst formt. Und vielleicht ist genau darin die Möglichkeit zur Gelassenheit: Zu wissen, dass alles, was ich jetzt tue, bald schon Geschichte sein wird – und dass ich nicht jeden Moment kontrollieren, sondern nur erleben kann.