Zwischen Hoffnung und Realität – Wie viel Einfluss haben wir wirklich?
Manchmal sind es die scheinbar kleinen Gesten, die den größten Unterschied machen. In meiner Arbeit als Jugendtrainer stoße ich immer wieder auf schwierige Situationen, wie die eines sozial benachteiligten Jungen, den ich seit Jahren begleite. Trotz aller Herausforderungen glaube ich fest daran, dass kein Mensch "hoffnungslos" ist. Dieser Blog beleuchtet nicht nur meine persönliche Erfahrung, sondern auch die größeren gesellschaftlichen Fragen: Wie viel Einfluss haben wir wirklich? Und wann ist es unsere Verantwortung, nicht aufzugeben?
MENSCHLICHKEIT
Jeremy Pape
9/6/20244 min lesen


Zwischen Hoffnung und Realität – Wie viel Einfluss haben wir wirklich?
Normalerweise geht es hier auf ForgedFlow um weniger persönliche Themen, doch die Situation, die ich euch heute schildern möchte, lässt sich auf grundlegende Problemstellungen in unserer Gesellschaft übertragen. Es ist eine Geschichte, die mich als Jugendtrainer und Jugendleiter seit Jahren begleitet – und sie ist geprägt von tiefer Hoffnung, aber auch von großen Herausforderungen.
Im Laufe meiner Tätigkeit stoße ich immer wieder auf einen 11-jährigen Jungen, der sozial benachteiligt ist. Sein Vater ist zeitweise in Haft, seine Mutter und Brüder wollen zwar, sind aber überfordert und in eigene Probleme verstrickt. Trotz seiner schwierigen Umstände ist dieser Junge im Herzen ein guter Mensch. Natürlich hat er Ecken und Kanten – wie jeder von uns. Doch ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, ihn auf seinem Weg zu begleiten, ihn in seiner persönlichen Entwicklung zu unterstützen und ihm Möglichkeiten zu bieten, die er sonst nicht hätte.
Seit Jahren helfe ich ihm, wo ich kann. Ob durch finanzielle Unterstützung, die ihm Dinge ermöglicht, die sonst außerhalb seiner Reichweite wären, oder durch Erlebnisse, die ihm Freude bereiten. Aufgrund meines eigenen jungen Alters (19) schaffe ich es, einen Zugang zu ihm zu halten, der von Vertrauen und Nähe geprägt ist. Er nennt mich sogar seinen Bruder, was für mich eine große Ehre und Verantwortung darstellt.
Doch trotz all dieser Bemühungen stoße ich immer wieder auf Probleme. Die Betreuerin seiner Familie hat vor kurzem aufgegeben. Sie sagte, sie sei froh, nicht mehr in die Familie gehen zu müssen, weil sie es für „hoffnungslos“ hält. Dieser Gedanke schockiert mich. Wie kann man einen Menschen, vor allem einen 11-jährigen Jungen, einfach aufgeben? Doch gleichzeitig führt mich diese Aussage zum Nachdenken: Kann ich wirklich etwas verändern? Habe ich den Einfluss, um ihn „auf die richtigen Bahnen“ zu bringen? Oder stehe ich einem System gegenüber, das so tief verankert ist, dass mein Beitrag, so gut er auch gemeint ist, letztlich wirkungslos bleibt?
Die Frage nach dem Einfluss
In solchen Momenten frage ich mich: Bin ich überhaupt berechtigt, einen so starken Einfluss auf das Leben dieses Jungen auszuüben? Ich bin nicht Teil seiner Familie, und doch fühle ich eine tiefe Verbundenheit mit ihm. Aber darf ich wirklich glauben, dass ich durch meine Unterstützung die Weichen für seine Zukunft so entscheidend stellen kann? Oder ist es naiv zu denken, dass ich das Leben eines Menschen verändern kann, der immer wieder in die „alten Sitten“ und destruktiven Muster seiner Umgebung zurückgeworfen wird?
Diese Zweifel sind keine Seltenheit. Sie betreffen nicht nur Trainer, Lehrer oder Sozialarbeiter – sie spiegeln ein allgemeines Dilemma wider, das viele Menschen in helfenden Berufen kennen. Wie viel Einfluss haben wir wirklich auf das Leben anderer? Kann unsere Unterstützung langfristig etwas bewirken, wenn das Umfeld negativ ist?
Hoffnungslose Fälle oder schwierige Wege?
Es gibt in unserer Gesellschaft oft den Begriff des „hoffnungslosen Falls“. Doch ich lehne diesen Gedanken ab, besonders in Bezug auf den Jungen, um den es hier geht. Seine Betreuerin mag aufgegeben haben, aber für mich steht fest: Ich werde ihn nicht fallen lassen. Es mag schwierig sein, und es mag Rückschläge geben, aber solange er den Willen zeigt, sich zu entwickeln und neue Wege zu gehen, werde ich ihm dabei helfen.
Natürlich bin ich nicht blind gegenüber den Problemen, mit denen er konfrontiert ist. Das Umfeld, in dem er aufwächst, ist schwierig und stellt eine echte Herausforderung dar. Wenn er nach dem Training nach Hause geht, wird er wieder mit den alten Mustern konfrontiert. Doch das bedeutet nicht, dass mein Einfluss unwirksam ist. Es bedeutet lediglich, dass der Weg länger und steiniger sein wird, als ich vielleicht anfangs gedacht habe.
Gesellschaftliche Parallelen
Diese Situation steht stellvertretend für ein größeres gesellschaftliches Problem. Viele Menschen in schwierigen Verhältnissen werden von ihrem Umfeld geprägt und in negative Verhaltensmuster gedrängt. Oft sind es wirtschaftliche oder soziale Benachteiligungen, die die Chancen auf eine positive Entwicklung einschränken. Die Frage, ob individuelle Hilfe in solchen Fällen wirklich etwas bewirken kann, stellt sich immer wieder.
Doch genau hier ist es wichtig, den Glauben an den Einzelnen nicht zu verlieren. Jeder Mensch ist in der Lage, sich zu verändern, und wir alle haben die Verantwortung, denjenigen zu helfen, die es alleine nicht schaffen. Auch wenn es manchmal so scheint, als sei unser Einfluss begrenzt, sind es oft die kleinen, beständigen Taten, die langfristig den größten Unterschied machen.
Mein Bekenntnis zu dem Jungen
Für mich steht fest: Der Junge wird nicht zu einem „hoffnungslosen Fall“ degradiert. Egal, wie schwierig die Situation ist, ich glaube daran, dass er die Möglichkeit hat, sich zu entwickeln. Es wird nicht einfach, und es wird Momente geben, in denen es so aussieht, als würden all unsere Bemühungen ins Leere laufen. Doch solange er zu mir kommt, sich im Training engagiert und mich als seinen „Bruder“ sieht, werde ich an seiner Seite bleiben.
Ja, es gibt Momente des Zweifels. Aber das bedeutet nicht, dass wir aufgeben sollten. Wenn wir anfangen, Menschen als hoffnungslos zu betrachten, geben wir der Hoffnungslosigkeit in unserer Gesellschaft Raum, sich weiter auszubreiten. Ich glaube fest daran, dass es immer einen Weg gibt – auch wenn dieser nicht geradlinig ist.
Der Junge hat einen langen Weg vor sich, doch solange er bereit ist, daran zu arbeiten, werde ich ihn unterstützen. Vielleicht wird er durch die Zeit mit mir lernen, dass es auch andere Wege gibt als die, die ihm sein Umfeld vorlebt. Vielleicht wird er neue Perspektiven gewinnen, die ihn dabei unterstützen, sich zu entfalten.
Ich weiß nicht, ob ich alles verändern kann – aber ich weiß, dass ich nicht aufgeben werde.