Nostalgie vs. Realität: Warum moderne Fußballer die Legenden von früher überrollen würden

In diesem Blog beleuchte ich eine hitzige Diskussion mit meinem Onkel, einem Kreisligatrainer, der überzeugt ist, dass frühere Fußballer härter, besser und fitter waren als die vermeintlich „verweichlichten“ Profis von heute. Ich widerlege diese These mit Fakten, vergleiche legendäre Teams von früher mit den Top-Mannschaften von heute und zeige auf, warum der moderne Fußball in Sachen Athletik, Taktik und Intensität klar überlegen ist.

FUSSBALL

Jeremy Pape

10/18/20246 min lesen

In einem hitzigen Gespräch mit meinem Onkel, der als Kreisligatrainer tätig ist, entfachte kürzlich eine Diskussion, die wahrscheinlich vielen Fußballfans bekannt vorkommt: „Die damaligen Fußballer waren doch viel härter und besser, die mussten noch richtig ackern und spielen statt sich um andere Dinge zu kümmern. Die neuen sind verweichlicht.“ Mein Onkel vertritt diese These leidenschaftlich, und als ehemaliger Spieler kann er auf viele eigene Erfahrungen zurückgreifen. In seinen Augen mangelt es den heutigen Fußballern an Disziplin und Fitness. Früher, so erzählt er, ging es noch richtig zur Sache: Linienläufe, Sprints durch den Park, knallhartes Konditionstraining – das war sein tägliches Brot als Trainer. Heutzutage, meint er, würden Spieler den harten körperlichen Anforderungen nicht mehr gerecht werden und sich stattdessen mit Kleinigkeiten wie Social Media beschäftigen.

Ich sehe das allerdings ganz anders. Meiner Meinung nach ist dieses Bild von "härteren" früheren Generationen ein nostalgischer Rückblick, der nicht ganz der Realität entspricht. Die Zeiten haben sich geändert – und damit auch die Trainingsmethoden. Klar, früher wurde hart trainiert, aber das bedeutet nicht automatisch, dass die Spieler fitter oder besser waren. Im Gegenteil: Die modernen Trainingsmethoden sind viel zielgerichteter und wissenschaftlich fundierter, sodass Spieler effektiver auf die Belastungen im Spiel vorbereitet werden.

Ein Beispiel für diese Veränderung ist das Training in kleinen Spielformen, das mein Onkel als „überbewertet“ abtut. Seiner Meinung nach zerstören schwächere Mitspieler in solchen Einheiten den Spielfluss und das gesamte Training wird ineffektiv. Doch genau hier liegt der Denkfehler. In kleinen Spielformen wird viel intensiver trainiert, als man auf den ersten Blick vermutet. Richtungswechsel, kurze Sprints, Ausdauer – all das ist in diesen Einheiten fest verankert. Die Spieler müssen unter Zeit- und Gegnerdruck agieren, wodurch sie nicht nur ihre Fitness, sondern auch ihre Spielfähigkeit gleichzeitig verbessern. Es geht also nicht darum, sinnlose Runden zu laufen, sondern darum, in einem realistischen Szenario das zu trainieren, was auch im Spiel gefragt ist.

Ein Blick auf die Entwicklung des Profifußballs untermauert meine Argumente zusätzlich. Die Statistik zeigt, dass die Gesamtlaufdistanz in einem Fußballspiel über die Jahre nahezu konstant geblieben ist. 2007 liefen die Spieler im Schnitt 10.679 Meter pro Spiel, heutzutage sind es 10.881 Meter. Der Unterschied ist also minimal. Was sich jedoch signifikant verändert hat, sind die Laufdistanz mit hoher Geschwindigkeit und die Anzahl der Sprints – und genau hier wird sichtbar, wie sich der Fußball weiterentwickelt hat. Heutzutage legen Spieler im Durchschnitt 1.152 Meter mit hoher Geschwindigkeit zurück, 2007 waren es nur 890 Meter. Ein Anstieg von über 29 %. Noch beeindruckender ist die Anzahl der Sprints: Früher absolvierten Spieler durchschnittlich 26 Sprints pro Spiel, heute sind es 57 – eine Steigerung von über 83 %! Und das alles nur seit 2007, die wesentlichen unterschiede im Vergleich zu den 70er, 80er und co., werden nur deutlich gravierender.

Diese Zahlen widerlegen klar die These, dass heutige Fußballer „verweichlicht“ sind. Im Gegenteil: Sie sind schneller, explosiver und müssen auf dem Spielfeld mehr leisten als jemals zuvor. Die Anforderungen an das Tempo und die Intensität eines Spiels sind so hoch wie nie. Moderne Spieler absolvieren unter Volllast Distanzen, von denen frühere Generationen nur träumen konnten. Es reicht nicht mehr, „nur“ fit zu sein – man muss auch in der Lage sein, das hohe Tempo über 90 Minuten zu halten und dabei taktisch klug zu agieren.

Wenn wir das einmal auf ein fiktives Spiel zwischen einer modernen Mannschaft und einem Team aus den 80er oder 90er Jahren übertragen, ist es schwer vorstellbar, dass die früheren Spieler dem hohen Tempo, den häufigen Sprints und der modernen Taktik standhalten könnten. In vielen Aspekten – von der Athletik über die Taktik bis hin zur Belastungssteuerung – sind heutige Teams klar überlegen.

Beispiel 1: Bayern München 2020 vs. FC Bayern 1974

Das Jahr 2020 war für den FC Bayern München ein herausragendes Jahr, das mit dem Gewinn des „Sextuple“ (sechs Titel in einem Jahr) gekrönt wurde. Sie spielten dominanten, schnellen und hochintensiven Fußball und besiegten auf ihrem Weg zur Champions League unter anderem den FC Barcelona mit einem historisch hohen 8:2-Sieg.

Vergleichen wir diese Mannschaft mit dem legendären Bayern-Team von 1974, das den ersten Europapokalsieg der Vereinsgeschichte errang. Dieses Team war sicherlich ein Meilenstein für den deutschen Fußball und bestand aus herausragenden Spielern wie Franz Beckenbauer, Sepp Maier und Gerd Müller. Aber trotz aller Erfolge wäre es äußerst unwahrscheinlich, dass sie gegen die Bayern 2020 eine Chance gehabt hätten.

Warum? Die moderne Mannschaft unter Hansi Flick war physisch, taktisch und technisch auf einem ganz anderen Niveau. Die Bayern von 2020 liefen nicht nur mehr, sondern sie sprinteten häufiger und mit größerer Intensität, sie hatten mehr den Ball, führten diesen häufiger und Länger, führten mehr und konsequentere Zweikämpfe . Das Spieltempo und der taktische Druck, den sie ausübten, sind Welten entfernt von dem, was in den 1970er Jahren Standard war. Damals gab es keine Hochgeschwindigkeitspässe auf engem Raum oder ein intensives Pressing, wie es die Bayern 2020 auszeichnete. Die Spielgeschwindigkeit, das Tempo der Pässe und die Präzision wären für die Bayern von 1974 kaum zu verteidigen gewesen.

Statistiken belegen diesen Unterschied: Wie bereits erwähnt, haben sich die Sprints und intensiven Läufe signifikant erhöht. Im Schnitt läuft ein moderner Spieler über 1.152 Meter mit hoher Geschwindigkeit, fast 30 % mehr als 2007. In den 70er Jahren war ein solches Laufpensum undenkbar. Eine Sportseite spricht im Vergleich, von einem Klassenunterschied ähnlich wie dem, eines Championsleague Clubs zum Oberligisten.

Beispiel 2: Barcelona 2011 vs. Brasilien 1970

Ein Vergleich, der oft gezogen wird, ist der zwischen dem FC Barcelona 2011, unter Pep Guardiola, und der brasilianischen Nationalmannschaft von 1970, die als eines der größten Teams der Fußballgeschichte gilt. Brasilien 1970 spielte einen herausragenden, technisch geprägten Fußball, der mit Stars wie Pelé und Jairzinho eine Ära definierte.

Aber selbst dieses legendäre Team hätte große Schwierigkeiten gehabt, mit dem Barcelona von 2011 mitzuhalten. Barcelonas „Tiki-Taka“-Stil, geprägt von blitzschnellen Passstaffetten und einem extremen Pressing, würde die Brasilianer von 1970 in Schwierigkeiten bringen. Die physischen und taktischen Anforderungen, die Barcelona an den Gegner stellte, wären für ein Team aus den 70er Jahren nicht zu bewältigen gewesen.

Auch hier ist die körperliche Entwicklung der Spieler ausschlaggebend. Das Barcelona von 2011 setzte nicht nur auf Technik, sondern auch auf intensives Laufen und ständige Bewegung ohne Ball, um Räume zu schaffen und die Verteidigung des Gegners zu destabilisieren. Dieses Tempo und die Präzision wären für die Brasilianer von 1970 ungewohnt und wohl nur schwer zu verteidigen gewesen.

Amateurfußball

Der Vergleich zwischen früheren und heutigen Fußballern hinkt nicht nur im Profibereich, sondern auch in den unteren Ligen. Selbst ein durchschnittlicher oberer Kreisligist/bezirksligist von heute würde mit großer Wahrscheinlichkeit ein Team aus der Oberliga der 80er oder 90er Jahre schlagen. Warum? Die Trainingsmethoden haben sich auf allen Ebenen verbessert. Heute steht auch in den unteren Klassen eine bessere taktische Schulung, gezieltes Athletiktraining und moderne Ausrüstung zur Verfügung.

Moderne Bezirksligaspieler profitieren zudem von professionellen Ansätzen im Bereich Ernährung, Regeneration und Verletzungsprävention, die es früher so nicht gab. Sie sind fitter, flexibler und taktisch geschulter, was ihnen einen klaren Vorteil gegenüber den früheren Generationen verschafft. Auch wenn der Fußball damals "härter" wirkte, war er längst nicht so anspruchsvoll, wie er es heute ist – selbst auf Amateurebene.

Zusammengefasst: Mein Onkel mag vielleicht recht haben, dass früher hart trainiert wurde, aber der Fußball hat sich weiterentwickelt. Das moderne Training ist nicht nur effizienter, sondern auch viel anfordernder, was die körperlichen und mentalen Anforderungen an die Spieler betrifft. Linienläufe und Sprints durch den Park gehören zwar zur Nostalgie, aber sie können nicht mit den hochintensiven und taktisch durchdachten Trainingseinheiten von heute mithalten. Die Zeiten haben sich geändert, und das ist gut so.

Kritik Spielformen: Wie bereits beschrieben, blickt mein Onkel kritisch auf die Entwicklung der Trainingsphilosophie Deutschland. Er vertritt die Meinung, dass solche Spielformen ineffektiv seien, insbesondere wenn Spieler unterschiedlich stark sind, da der Spielfluss angeblich gestört wird. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Moderne Spielformen – egal ob 4-gegen-4 oder 5-gegen-5 – simulieren die dynamischen Spielsituationen eines echten Matches viel intensiver als klassische Konditionsläufe.

In diesen kleinen Spielformen werden nicht nur die Technik und das taktische Verständnis gefördert, sondern auch entscheidende athletische Elemente wie Antrittsschnelligkeit, Richtungswechsel und Zweikampfverhalten unter Wettkampfbedingungen trainiert. Das Niveau der Mitspieler spielt dabei eine untergeordnete Rolle, da durch die reduzierte Spielfläche und den hohen Druck alle Spieler gefordert werden, schneller zu denken und zu handeln. So werden in kürzester Zeit spielnahe Fähigkeiten und eine hohe Intensität gleichzeitig trainiert, was in früheren Zeiten oft vernachlässigt wurde.