Erwartungen, die Angst vorm Versagen und der Mut, den eigenen Weg zu gehen

Ein persönlicher Einblick in die Herausforderungen, denen man begegnet, wenn man von Kindheit an als „der Begabte“ gilt – und wie der Druck von außen und innen das eigene Handeln beeinflusst.

MENSCHLICHKEITGEDANKEN

Jeremy

10/4/20244 min lesen

Erwartungen, die Angst vorm Versagen und der Mut, den eigenen Weg zu gehen

Erwartungen – sie begleiten uns wie ein ständiger Schatten, mal mehr, mal weniger spürbar. Manchmal kommen sie von außen, manchmal wachsen sie in uns selbst. Oft sind sie Antrieb, manchmal aber auch Last. Seit meiner Kindheit habe ich viele Erwartungen zu spüren bekommen, und damit wuchs auch die Angst, diesen nicht gerecht zu werden.

Eines der frühesten Beispiele dafür war mein Onkel. Ich war fünf, er war drei Jahre älter als ich. Doch er hatte Schwierigkeiten mit dem Alphabet, und so saß ich eines Tages da und erklärte ihm die Buchstaben. Es fühlte sich merkwürdig an, als der Jüngere dem Älteren etwas beizubringen. Und obwohl niemand das offen aussprach, spürte ich den Druck. Die Erwartung war da: Ich musste ihm helfen, ich durfte nicht versagen. Es war eine stille Angst, die mich schon in diesem jungen Alter begleitete – die Angst, nicht gut genug zu sein.

Ähnlich verhielt es sich später mit Zahlen. Ich war in jungen Jahren schnell im Kopfrechnen, und das blieb meiner Familie nicht verborgen. Auf Familienfeiern oder bei Treffen mit Freunden bekam ich oft spontan Rechenaufgaben gestellt. Es war immer gut gemeint, eine Art Anerkennung. Doch mit jedem Lob wuchs der Druck, die Erwartungen zu erfüllen. Was, wenn ich einmal falsch rechne? Was, wenn ich nicht schnell genug bin? Man sah mich als denjenigen, der immer die richtige Antwort haben musste, und diese Rolle brachte ihre eigenen Ängste mit sich.

Bei Wissensspielen war es dasselbe. Ob mit der Familie oder mit Freunden, ich war immer derjenige, den man erwartete zu gewinnen. Diese Rolle, der „Schlaue“, der „Schnelle“, wurde mir zugeschrieben, und ich nahm sie an. Doch auch hier war sie mit der leisen Angst verbunden, irgendwann zu versagen – nicht das zu sein, was andere in mir sahen.

Eine besondere Rolle spielte dabei auch meine einzige studierte Tante aus Sachsen. Ich Erinnere mich noch gut, als ich mit 6,7 vielleicht 8 Jahren mit ihr auf dem Sofa saß und Bücher über Vulkanologie ließ - Eher ungewöhnlich. Sie war eine der wenigen in meiner Familie, die den akademischen Weg gegangen war, und sie schwärmte von mir, als wäre ich etwas ganz Besonderes. Schon als Kind hörte ich von ihr oft Sätze wie: „Er wird es weit bringen!“ Diese Worte klangen in meinen Ohren nach, sie bauten Druck auf. Denn die Erwartungen, die sie in mich setzte, waren hoch. Ich wollte sie nicht enttäuschen, wollte den Weg gehen, den sie für mich sah – auch wenn ich manchmal nicht sicher war, ob er wirklich meiner war.

Was ich in diesen jungen Jahren bereits gelernt habe, ist, dass die Angst vorm Versagen oft aus den Erwartungen herauswächst, die wir von anderen übernehmen. Sie wird genährt durch das Gefühl, immer perfekt sein zu müssen, immer „der Beste“ zu sein. Aber was bedeutet es eigentlich zu scheitern? Ist es wirklich so schlimm, wenn etwas nicht sofort gelingt?

Schon früh zeigte sich ein gewisses Talent in der Informatik. Zwischen 16 und 18 Jahren arbeitete ich bereits als Freelancer und übernahm einige große Aufträge, bei denen ich gut verdiente. Es war ein Gefühl der Unabhängigkeit und auch des Erfolgs, das mir zu dieser Zeit viel Selbstbewusstsein gab. Doch auch hier kam schnell der Druck von außen. Familie und Freunde sagten oft: „Jetzt brauchst du doch keinen Nebenjob mehr, mach doch einfach das!“ Für sie schien es, als hätte ich meinen Weg bereits gefunden. Doch in mir wuchs die Unsicherheit. Was, wenn die Aufträge auf einmal ausbleiben? Was, wenn ich mich zu früh auf diesen Weg festlege und dann scheitere? Diese Erwartungen, einfach „nur das“ zu tun, verstärkten die Angst, den falschen Schritt zu machen oder mich zu sehr auf etwas zu verlassen, das vielleicht nicht von Dauer sein würde.

Heute bin ich 19 Jahre alt und studiere Informatik. Ich habe mich für diesen Weg entschieden, weil es das ist, was mich wirklich interessiert. Es ist ein ungewöhnlicher Schritt in meiner Familie, die zwar gut lebt, aber in der ein akademischer Werdegang eher selten ist. Der Druck, etwas „Besonderes“ zu sein, war und ist immer noch da. Freunde, Familie und auch Außenstehende erwarten oft, dass ich den Weg „schaffen“ werde, dass ich die Erwartungen erfülle, die sie in mich setzen.

Je mehr ich "eher Außergewöhnliches" tue – ob es im Verein in einer führenden Rolle ist, im Privatleben oder jetzt im Studium – desto mehr habe ich das Gefühl, dass der Druck mich zu ersticken droht. Ich kann es nicht genau erklären, aber es ist, als ob jede neue Verantwortung, jede Anerkennung oder jeder Erfolg die Erwartungen, die andere an mich haben, weiter wachsen lässt. Es entsteht eine unsichtbare Last, die mit jedem Schritt schwerer wird. Diese Last kommt nicht nur von außen, sondern auch von mir selbst. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber je mehr ich versuche, diese Erwartungen zu erfüllen, desto größer wird die Angst, irgendwann darunter zusammenzubrechen. Selbst dieser Blog, musste darunter leiden. Dies ist bereits der 3. Anlauf, da ich mit der Qualität der ehemaligen Beiträge nicht zufrieden war. Sie waren, zu "einfach".

Am Ende möchte ich eines klarstellen: Ich behaupte nicht, etwas Besonderes oder Hochbegabtes zu sein. Ich reflektiere einfach nur das, was ich erlebt habe und wie es mich geprägt hat. Ich war immer neugierig, hatte immer den Drang, mehr zu wissen, wenn mich etwas interessierte. Das hat mich angetrieben. Aber ich bin nicht perfekt und auch nicht „der Schlaue“, den manche in mir sehen. Ich bin einfach jemand, der versucht, seinen eigenen Weg zu gehen – mit allen Höhen und Tiefen, die dazugehören.