Eine Fortsetzung: Bin ich Glücklich?

MENSCHLICHKEITGEDANKEN

Jeremy

7/11/20255 min lesen

In meinem letzten Blog habe ich versucht, mich selbst zu beleuchten. Nicht, um mich zu inszenieren, sondern um zu verstehen. Um mich in Worte zu fassen, bevor ich mich verliere. Und ich habe mich gefragt: Wer bin ich? Was will ich? Wie funktioniere ich im System – und gegen es?

Doch jetzt, einige Tage später, stelle ich mir eine andere, vielleicht fundamentalere Frage: Bin ich glücklich?

Ich glaube nicht.

Und das ist kein Schrei nach Aufmerksamkeit. Kein Ruf nach Mitleid. Ich verachte Mitleid. Es kommt mir vor wie eine weichgespülte Version von Interesse, die nichts heilt, sondern nur bestätigt, dass etwas nicht stimmt. Ich will kein Mitleid. Ich will Wahrheit. Und die Wahrheit ist: Ich bin, über die letzten Monate hinweg, zu einem zutiefst unglücklichen Menschen geworden.

Das Erstaunliche – oder vielmehr das Bezeichnende – daran ist: Es sind nicht die Menschen, die mir das Gefühl geben, unglücklich zu sein. Es sind nicht die Kinder im Verein. Es sind nicht meine Freunde, nicht meine Familie. Sie sind da. Sie geben. Sie meinen es gut. Und doch bleibt da eine Leere. Eine stille, schleichende Unzufriedenheit, die von innen kommt, nicht von außen.

Ich denke an den Verein. An meine Rolle als Jugendleiter und Trainer. An das, was früher ein Herzstück meines Alltags war. Eine Quelle von Begeisterung, Verantwortung, Aufbruch. Heute ist es anders. Heute verspüre ich vor allem Pflicht. Ich will den Kindern gerecht werden – unbedingt – aber der Status eines Hobbys, einer Leidenschaft, ist verschwunden. Ich tue es nicht mehr, weil ich will. Ich tue es, weil ich glaube, dass ich muss.

Und das ist ein gefährlicher Punkt.

Heute stellte ich mir im inneren Monolog eine schlichte, aber tiefschneidende Frage: Wenn es Wahlen gäbe, echte Wahlen, bei denen ich antreten müsste, um meine Rolle zu behalten – würde ich überhaupt kandidieren?
Ich glaube nicht. Ich glaube, ich würde es lassen. Und das erschreckt mich. Diese Erkenntnis wirkt wie ein innerer Schlussstrich, leise gezogen, aber endgültig. Es macht im Nachhinein auch Sinn, dass ich vor einiger Zeit selbst die Idee eingebracht habe, man solle unsere Positionen doch wählen lassen. Das macht man nicht, wenn man fest verankert ist, wenn man an seinem Platz bleiben will. Ich habe das gesagt, weil ich unbewusst schon gespürt habe: Ich bin nicht mehr da.

Und dieser Gedanke liegt mir schwer. Er ist keine Enttäuschung – er ist eine stille Feststellung. Ich bin unzufrieden. Nicht laut, nicht verzweifelt. Aber grundlegend. Ich habe das Gefühl, dass ich weder das tue, was mich erfüllt, noch dort lebe, wo ich aufblühe. Und ich weiß: Das klingt für viele nach Luxusproblemen. Nach einer zerrissenen Seele auf hohem Niveau. Aber für mich ist es keine Attitüde. Es ist eine Zustandsbeschreibung. Eine sachliche Bilanz.

Ich lebe ein Leben, das funktioniert – aber es fühlt sich nicht richtig an. Ich bin eingebunden, aber nicht verbunden. Ich bin aktiv, aber nicht lebendig.

Ich denke oft darüber nach, was Glück überhaupt ist. Vielleicht ist es ohnehin ein überhöhtes Konstrukt, ein Ideal, das uns von Filmen, Büchern, Ratgebern verkauft wurde. Vielleicht ist Glück in Wahrheit nichts, was man findet. Vielleicht ist es einfach ein Moment des inneren Friedens – ein leises „Ja“ zu dem, was ist. Und vielleicht genau deshalb fehlt es mir: weil ich zu oft „Nein“ spüre. Weil ich innerlich gegensteuere. Weil ich nicht angekommen bin – weder in mir, noch in meinem Umfeld.

Ich will Veränderung – aber ich weiß nicht, wie sie aussehen soll. Und ich will mich auch nicht in Bewegung setzen, nur um nicht stehen zu bleiben. Veränderung um ihrer selbst willen ist nichts weiter als Flucht im neuen Mantel. Ich will nicht rennen – ich will ankommen. Aber wo?

Ich weiß, dass das alles düster klingt. Aber es ist nicht destruktiv gemeint. Es ist einfach ein Gedanke, den ich zu Ende denke. Ich glaube, Ehrlichkeit gegenüber sich selbst ist der einzige Ausgang aus diesem diffusen Nebel. Vielleicht ist es okay, unglücklich zu sein, solange man sich selbst darin nicht aufgibt. Vielleicht ist Unglück ein Teil des Wachstums, ein Hinweis, dass Veränderung nötig ist. Und vielleicht ist es gar kein Drama – sondern nur eine Erinnerung: „So wie es ist, darf es nicht bleiben.“

Ich weiß nicht, ob ich in einem Jahr noch Jugendleiter bin. Ich weiß nicht, ob ich in 2 Jahren noch in diesem Land bin. Ich weiß nur: Ich will aufhören, eine Rolle zu spielen, die sich immer fremder anfühlt. Ich will wieder etwas tun, das mich aufrichtet, nicht nur beschäftigt. Und ich will, dass die Menschen um mich – die ich begleiten durfte, die ich beeinflusst habe – nicht zu einer Kopie von mir werden, sondern zu einer besseren Version ihrer selbst.

Doch mein Unglücklichsein endet nicht beim Fußball. Es wäre zu einfach, alles darauf zu schieben – als wäre es bloß eine Frage von Aufgaben, Rollen oder Pflichtgefühlen. Die Wahrheit ist: Es zieht sich wie ein leiser Nebel durch mein gesamtes Leben. Und auch das hat sich bereits im ersten Blog angedeutet, vielleicht nicht als Hauptthema, aber als Grundrauschen. Damals habe ich viel über meinen Zwiespalt geschrieben – zwischen Systemkritik und Systemnutzung, zwischen Konsequenz und Gewissen, zwischen Nähe und Rückzug. Ich sehe jetzt: Das war nicht nur ein Charakterzug. Es war ein Symptom.

Denn was ist Unglücklichsein anderes als die ständige Reibung zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte? Ich spüre diese Reibung ständig. Nicht laut, nicht panisch, aber durchgehend. Ich wache morgens auf und fühle mich erschöpft. Ich gehe durch Straßen, spreche mit Menschen, aber immer mit einem inneren Abstand, wie durch eine Scheibe. Selbst wenn ich lache, ist da eine Art Trennung zwischen Handlung und Gefühl. Ich spiele mit, aber ich bin nicht da.

Ich denke an Gespräche, die ich führe – oder besser gesagt: Gespräche, die ich beginne, in der Hoffnung, dass sie irgendwo hinführen, in die Tiefe, in eine Erkenntnis, in einen gemeinsamen Moment. Doch viel zu oft bleiben sie flach, klischeehaft, vorhersehbar. Und ich weiß, dass ich mir dadurch selbst im Weg stehe. Denn ich erwarte Tiefe, wo vielleicht nur Oberfläche ist. Ich fordere Intensität, wo Leichtigkeit gefragt wäre. Ich verlange viel – vielleicht zu viel – nicht in Lautstärke, sondern in Substanz.

Diese permanente kognitive Reibung hat über die Jahre dazu geführt, dass ich mich selbst kaum noch spüren kann. Ich bin zwar körperlich anwesend, aber innerlich oft auf Rückzug. Ich beobachte viel, aber fühle wenig. Ich analysiere alles, aber genieße fast nichts. Ich bin müde, aber nicht im klassischen Sinn – sondern seelisch erschöpft von all dem, was unausgesprochen in mir rumort.

Aber es ist, als hätte ich diese Fähigkeit irgendwo auf halber Strecke abgelegt, weil sie im Alltag keine Funktion mehr hatte. Ich habe mich angepasst – nicht in meinen Gedanken, nicht in meiner Haltung, aber in meinem Empfinden. Und diese Diskrepanz ist es, die das Unglücklichsein verstärkt. Ich bin zu bewusst für ein Leben im Leerlauf, aber zu zerrissen, um wirklich loszugehen.

Ich glaube nicht an Schicksal. Ich glaube auch nicht an den einen Moment, der alles ändert. Ich glaube an Prozesse. An leise, langsame, unspektakuläre Veränderungen. Vielleicht bin ich gerade mittendrin. Vielleicht ist das hier kein Ende, sondern ein Anfang. Ein nüchterner, ehrlicher Anfang: zuzugeben, dass ich unglücklich bin. Nicht zerstört. Nicht verloren. Aber unglücklich. Und das ist keine Schwäche. Es ist eine Bestandsaufnahme.

Ich will nicht mehr „funktionieren“. Ich will wieder etwas fühlen. Etwas Echtes. Auch außerhalb des Fußballs. Auch ohne Pflicht, ohne Rolle, ohne Bühne. Einfach nur ich.

Vielleicht liegt wahres Glück nicht im Erfolg, nicht in Anerkennung, nicht in Funktion – sondern in der stillen Überzeugung: „Ich bin ehrlich zu mir.“

Und vielleicht ist genau das mein erster Schritt zurück zu mir selbst.